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16. Das Taubenpostamt
Taubenpost

Das Taubenpostamt war ein längliches Gebäude aus Stein, das die Grenze zwischen Hafen Zwölf und Dreizehn bildete. Das Erdgeschoss beherbergte das eigentliche Postamt, und darüber befanden sich die Taubenschläge, in denen Hunderte von Brieftauben wohnten. Zwei große Laternen, auf denen Tauben hockten, flankierten die breite Flügeltür, die in die Schalterhalle führte. Das lang gestreckte Dach glänzte weiß im Schein der frisch entzündeten Laternen, und als Septimus und Beetle näher kamen, erkannten sie, dass es deshalb so weiß war, weil es vor Taubendreck starrte. Und riechen tat es auch nicht besonders. Sie traten mit eingezogenem Kopf ein und entgingen nur knapp einer, wie man am Handelsposten sagte, »Taubenschulter« (was nach vorherrschender Ansicht immer noch eine Spur besser war als ein »Taubenkopf«).

Im Postamt herrschte ruhige Geschäftigkeit. Eine Reihe praktischer weißer Lampen zischten leise an der Decke und erinnerten Beetle an Ephaniah Grebes Keller. In der Halle reihten sich sieben Schalter mit Schildern, auf denen stand VERSAND, EMPFANG, VERSPÄTUNGEN, VERLOREN, GEFUNDEN, VERDORBEN und BESCHWERDEN. Vor jedem Schalter standen ein oder zwei Leute an, nur vor BESCHWERDEN wartete eine lange Schlange.

Septimus und Beetle steuerten auf das Schild VERSAND zu. Sie warteten geduldig hinter einem jungen Matrosen, der bald fertig war, und weniger geduldig hinter einem älteren Mann, der lange brauchte, bis er seine Nachricht geschrieben hatte, und dann über den Preis stritt. Schließlich ging er murrend weg und stellte sich in die Schlange vor BESCHWERDEN.

Sie traten vor an den Schalter. Wortlos reichte ihnen der schmallippige Beamte – ein ungepflegter Mann, dessen grauer Haarschopf verdächtig nach einem schlimmen Fall von »Taubenkopf« aussah – ein Formular und einen Bleistift. Beetle machte die Bestellung, und dann schrieb Septimus sehr sorgfältig in das Formular:

EMPFÄNGER: Marcia Overstrand, Außergewöhnliche Zauberin
ANSCHRIFT: Dachgeschoss im Zaubererturm, Burg, Kleines Feuchtland jenseits des Meeres
ABSENDER: Septimus Heap
ADRESSE DES ABSENDERS: Die Cerys, Ankerplatz 5, Hafen Zwölf, Handelsposten

NACHRICHT (jeweils nur einen Buchstaben, einen Zwischenraum oder ein Satzzeichen in ein Kästchen):

LIEBE MARCIA. GUT ANGEKOMMEN. ALLE DA. ALLE WOHLAUF, ABER RÜCKKEHR VERZÖGERT SICH. FEUERSPEI SEHR MÜDE. SIND AUF MILOS SCHIFF. STARTEN BALDMÖGLICHST. HERZLICHST IHR OBERLEHRLING SEPTIMUS XXX. PS: BITTE SAGEN SIE MRS. BEETLE, BEETLE WOHLAUF.

GEWÜNSCHTER SERVICE (NUR EINEN AUSWÄHLEN):

WIE ES UNS BELIEBT

EXPRESS

Er malte einen Kringel um EXPRESS und gab das Formular zurück.

Der Beamte überflog es und runzelte die Stirn. Mürrisch tippte er mit einem Finger auf das Kästchen ABSENDER. Septimus hatte wie gewohnt mit einem unleserlichen Schnörkel unterschrieben. »Was ist das?«, fragte er.

»Mein Name«, antwortete Septimus.

Der Beamte stöhnte. »Gut, das wäre dann schon mal geklärt. Und wo sind die Buchstaben?«

»Soll ich ihn etwa noch mal schreiben?«, fragte Septimus, sichtlich um Geduld ringend.

»Das übernehme ich«, gab der Beamte zurück.

»Einverstanden.«

»Also, wie lautet er?«

»Wie lautet wer?«

Der Beamte stöhnte abermals und sagte ganz langsam: »Dein Name, Kleiner. Wie lautet er? Ich muss ihn wissen, damit ich ihn eintragen kann, verstehst du?«

Septimus wunderte sich jetzt nicht mehr über die lange Schlange vor dem Schalter BESCHWERDEN. »Septimus Heap«, sagte er.

Umständlich zog der Beamte einen Leimtopf hervor und klebte ein Stück Papier über die anstößige Unterschrift. Er ließ sich den Namen Septimus drei Mal buchstabieren und brachte ihn unter viel Aufhebens zu Papier. Schließlich war er damit fertig und warf die Nachricht in einen Kasten, auf dem versiegeln und verschicken stand. Ein allgemeiner Seufzer der Erleichterung begleitete Septimus, als er das Porto bezahlt hatte und den Schalter endlich verließ.

»Hallo! Septimus Heap!«, rief eine Stimme. Septimus drehte sich um und sah, dass der Beamte am Schalter EMPFANGEN ihm winkte. »Ich habe einen Brief für dich.«

»Für mich?« Septimus ging zu ihm.

Der Beamte am Schalter EMPFANG, ein ehemaliger Schiffskapitän mit buschigem weißen Vollbart, war deutlich angenehmer als sein Kollege am Schalter VERSAND. Er lächelte. »Du bist Septimus Heap?«

Septimus nickte verwirrt. »Ja, aber ich erwarte eigentlich keine Nachricht.«

»Nun, dann ist heute wohl dein Glückstag?«, sagte der Beamte und reichte ihm einen kleinen Umschlag, auf den in der unverwechselbaren Taubenpostschrift sein Name gedruckt war. »Bitte hier unterzeichnen«, fügte der Beamte hinzu und schob ein Blatt Papier zu Septimus herüber. Etwas verlegen setzte Septimus seinen Namen darauf und schob das Blatt zu dem Beamten zurück, der es kommentarlos entgegennahm.

»Danke«, sagte Septimus.

»Keine Ursache«, erwiderte der Beamte mit einem Lächeln. »Wir haben bis Mitternacht geöffnet, falls du eine Antwort schicken willst. Der Nächste bitte.«

Septimus und Beetle blieben unter einer Laterne in sicherer Entfernung vom Taubenpostamt stehen. Nachdem sie nach oben gespäht und sich vergewissert hatten, dass über ihnen keine Tauben saßen, öffnete Septimus den Umschlag, auf den in roter Farbe SICHERHEITSCOUVERT DES TPA FÜR NICHT-STANDARDBRIEF gestempelt war. Er zog ein krumpeliges Blatt Papier heraus, und während er las, nahm sein Gesicht einen verwirrten Ausdruck an.

»Was steht drin?«, fragte Beetle.

»Ich verstehe nicht... Es ist ein Rezept für Kohlsuppe.«

»Dreh um«, sagte Beetle. »Da steht was auf der anderen Seite.«

»Ach ... er ist von Tante Zelda. Aber woher weiß sie denn ...«

»Was schreibt sie?«

»›Lieber Septimus, beiliegend die Gebrauchsanleitung für deinen Sicherheits-Charm. Ich vergaß, sie Barney Pot mitzugeben. Zögere nicht, ihn zu benutzen, wenn du ihn brauchst. Er wird Dir treu ergeben und aufrichtig sein. Mit lieben Grüßen, Tante Zelda xxx.‹ Oh, Mist, Mist, Mist!«

»Was ist Mist, Sep?«

»Das mit dem Sicherheits-Charm. Ein kleiner Junge namens Barney Pot wollte ihn mir geben, aber ich habe ihn nicht genommen. Ich wollte nie wieder von einem Fremden einen sogenannten Sicherheits-Charm annehmen, nachdem ich versehentlich den Questenstein von jemandem angenommen habe, den ich zu kennen glaubte.«

»Aber er war doch nicht von einem Fremden, sondern von Tante Zelda«, mäkelte Beetle.

»Das weiß ich jetzt«, fuhr ihn Septimus an. »Aber zu dem Zeitpunkt wusste ich es nicht. Barney hat Tante Zelda mit keiner Silbe erwähnt. Er hat nur gesagt, dass der Charm von einer Dame sei. Das hätte jede sein können.«

»Na, ist ja sowieso egal, Sep. Ich wüsste nicht, wozu du ihn brauchen solltest.«

»Ja, da hast du wohl recht ... Aber Tante Zelda ist offenbar der Meinung, dass ich ihn gebrauchen könnte. Keine Ahnung, warum.«

Beetle sprach kein Wort, während sie zur Cerys zurückgingen. Als sie sich dem großen Schiff näherten, das jetzt im Laternenglanz erstrahlte, sagte er: »Was genau steht denn in der Gebrauchsanweisung?«

Septimus zuckte mit den Schultern. »Was spielt das für eine Rolle? Ich habe den Charm ja gar nicht.«

Beetle, der sich für Charms jeder Art begeisterte und gehofft hatte, im Manuskriptorium eines Tages zum Charm-Experten aufzusteigen, fand, dass es sehr wohl eine Rolle spielte. Auf sein Drängen hin faltete Septimus ein weiteres Stück Papier auseinander, das in Tante Zeldas sauberster Handschrift beschrieben war – wie die Anweisungen, die sie für Wolfsjunge geschrieben hatte. Während Septimus las, legte sich Verwunderung auf sein Gesicht.

»Was steht denn da, Sep?«, fragte Beetle ungeduldig.

»Oh je ... da steht: »Septimus, beachte dies sorgfältig und der Charm wird für immer und ewig dein treuer Diener sein. Beachte folgende Anweisungen:

1. Flasche in gut belüfteten Räumen öffnen, vorzugsweise im Freien.
2. Beim Öffnen im Freien darauf achten, dass die Stelle windgeschützt ist.
3. Sobald der Dschinn aus ...

»Ein Dschinn ... Donnerwetter!«, entfuhr es Beetle. »Sie ist losgezogen und hat dir einen lebenden Sicherheits-Charm geschickt. Ich kann es nicht fassen.«

Septimus schwieg. In dem Gefühl, einen schrecklichen Fehler begangen zu haben, las er den Rest der Anweisungen.

»Ein Dschinn ... und du hast ihn abgelehnt. Ich kann es nicht fassen«, sagte Beetle gerade. »Mannomann, was für eine Gelegenheit.«

»Jetzt ist es jedenfalls zu spät«, murrte Septimus, faltete die Gebrauchsanweisung zusammen und steckte sie sorgfältig in seinen Lehrlingsgürtel.

Beetle redete trotzdem weiter. »Ich habe mir immer vorgestellt, wie fantastisch es wäre, einen Dschinn zu haben, den man für sich springen lassen kann. Und kein Mensch hat mehr einen, Sep, sie sind unglaublich selten. Die meisten sind herausgelassen worden, und heutzutage weiß niemand mehr, wie man sie wieder hineinbekommt, außer natürlich andere Dschinn, und die verraten es nicht. Puh ... unfassbar, dass du dir eine solche Gelegenheit hast entgehen lassen.«

Septimus reichte es. Er wandte sich Beetle zu. »Jetzt hör aber auf damit, klar? Schön, ich habe ihn nicht genommen, und ja, das war vielleicht dumm, aber ich hab es nun mal nicht getan und damit Schluss.«

»He, beruhige dich, Sep. Ich habe nie gesagt, dass es dumm war. Aber sieh mal... vielleicht...«

»Was vielleicht?«

»Vielleicht solltest du Tante Zelda eine Nachricht schicken und ihr sagen, dass du ihn nie bekommen hast. Sie sollte ihn möglichst schnell von Barney zurückholen. Ich meine, was ist, wenn er ihn aufmacht?«

Septimus zuckte gereizt mit den Schultern.

»Es ist wichtig, Sep«, bohrte Beetle weiter. »Wenn Tante Zelda ihn für dich bestimmt hat, hat sie ihn erweckt, indem sie ihm eine ganze Menge über dich erzählt hat – alles über deine Familie, wie du aussiehst, was für ein famoser Kerl du bist und was es für eine Ehre für den Dschinn ist, dir für den Rest seiner Tage dienen zu dürfen und so weiter, blablabla. Ich habe einen Bericht über eine Erweckung gelesen. Es ist ein richtiger Vertrag, und wenn die andere Hälfte des Vertrags nicht erfüllt wird, fühlt sich der Dschinn von seinen Verpflichtungen entbunden. Wenn der Junge, dieser Barney Pot, neugierig wird und den Dschinn herauslässt, steht mächtig Ärger ins Haus. Ein Dschinn kann einen gewaltigen Schaden anrichten – und das wird er auch, darauf kannst du Gift nehmen. Der einzige Mensch, der ihn in Zaum halten kann, ist sein Erwecken«

»Tante Zelda«, sagte Septimus.

»Genau. Du musst es ihr sagen, Sep.«

Septimus und Beetle hatten die Cerys erreicht. Der Matrose mit der makellosen Uniform verbeugte sich, als Septimus den Fuß auf das Fallreep setzte. Und er verbeugte sich ein zweites Mal, als Septimus den Fuß gleich wieder herunternahm.

»Also schön«, seufzte Septimus. »Du hast recht. Wir werden ihr eine Nachricht schicken. Und wenn mir dieser Beamte wieder komisch kommt, werde ich ...«

Beetle fasste ihn am Arm. »Ja«, sagte er, »ich auch.«

Septimus Heap 05 - Syren
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